DMM Der Mobilitätsmanager

42 Der Mobilitätsmanager 05/06.2023 An jenem März-Tag explodierte beim Start das linke Triebwerk des Flugzeugs. Die Maschine kam noch rechtzeitig vor dem Abheben zum Stillstand, die Fluggäste mussten evakuiert werden. Eine Frau verließ den Passagierjet über einen Notausstieg und wurde durch den Jetblast des rechten Triebwerks mehrere Meter durch die Luft geschleudert und dabei verletzt. In der Folge diagnostizierten Ärzte eine posttraumatische Belastungsstörung, derentwegen sie die Dame in ärztlicher Behandlung befindet. Sie leidet seit dem Unfall unter Schlaf- und Konzentrationsstörungen und anderen psychischen Problemen. Die Frau klagte gegen die damalige Laudamotion GmbH auf Ersatz von 4.353,60 Euro in Behandlungskosten und 2.500 Euro Schmerzensgeld. Am 28. Juli 2020 war bekannt geworden, dass die Laudamotion GmbH im November 2020 geschlossen wird und das Geschäft aus steuerlichen Gründen an die Lauda Europe Ltd. auf Malta überschrieben wird. Das vorher genutzte österreichische AOC wurde im Dezember 2020 zurückgegeben. Laudamotion wurde nachfolgend auf Basis eines maltesischen Luftverkehrsbetreiberzeugnisses (Air Operator Certificate, AOC) tätig. Der Carrier befindet sich seit Januar 2019 vollständig im Eigentum der irischen Ryanair Holdings PLC. Nach österreichischem Recht hätte die Frau einen Anspruch auf Schadenersatz gehabt. Schäden auf internationalen Flügen sind jedoch gemäß Münchner Übereinkommen (MÜ) zu beurteilen. Dort ist in Art. 17 Abs. 1 von Schäden die Rede, die dadurch entstehen, dass ein Reisender getötet oder körperlich verletzt worden ist. In den ersten beiden Instanzen vor österreichischen Gerichten blitzte die Klägerin ab. Der Oberste Gerichtshof (OGH) – die letzte Instanz in Zivil- und Strafverfahren in Österreich – war sich aber nicht sicher und legte die Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vor (Beschluss vom 28.01.2021, Az.: 2Ob 131/20h). Dabei stellt der OGH den EU-Richtern zwei Fragen: • Sind psychische Auswirkungen eines Unfalls nicht die direkte Folge von körperlichen Schäden und daher vom MÜ erfasst? • Und wenn nicht: Könnte in solchen Fällen nicht doch das großzügigere nationale (hier: österreichische) Recht zur Geltung kommen? In der Vorlage machen die Wiener Juristen klar, dass sie zu einer weiten Auslegung der „körperlichen Schäden“ unter MÜ Art. 17 Abs. 1 tendieren würden. Dass bei einer Absage durch den EuGH der Fall nach österreichischem Recht entschieden werden könnte, hielten sie für unwahrscheinlich, schlossen es aber nicht ganz aus. In der ersten Verhandlung argumentierte Laudamotion, dass im betreffenden internationalen Abkommen nur Schadenersatz für Körperverletzungen im eigentlichen Sinne vorgesehen ist - für psychische Folgeerkrankungen aber nicht. In Luxemburg bejahten die EU-Richter nun, dass eine psychische Beeinträchtigung von Flugreisenden sehr wohl eine „Körperverletzung“ im Sinne des Übereinkommens ist, für die die Fluglinie womöglich haftet. Das Übereinkommen sei dahin auszulegen, dass „für eine psychische Beeinträchtigung, die ein Fluggast durch einen ‚Unfall‘ im Sinne dieser Bestimmung erlitten hat (...) in gleicher Weise Schadenersatz zu leisten ist wie für eine solche Körperverletzung“. Betroffene Passagiere müssen dazu aber nachweisen, dass die psychischen Folgen nicht ohne ärztliche Behandlung abklingen können. Zudem müssten diese so schwer sein, dass sie sich auf die Gesundheit allgemein auswirkten. Das ist im Fall der Österreicherin offensichtlich der Fall. Den Anwälten der Airline schrieben die EURichter ins Stammbuch, Ziel des internationalen Abkommens, mit dem die Fluglinie argumentierte, sei gerade der Schutz der Verbraucher, wozu auch ein angemessener Schadenersatz gehört, der die Gleichbehandlung der Fluggäste erfordert. Der Verbraucherschutz würde indes ins Leere laufen, wenn physische und psychische Beeinträchtigungen unterschiedlich behandelt würden. Nun wurde der Fall von Luxemburg zurück nach Wien überwiesen, wo die dortigen Richter eine endgültige Entscheidung treffen sollen in dem Sinne, dass Fluggesellschaften nach einem Unfall nicht nur für körperliche, sondern auch für psychische Beeinträchtigungen geradestehen müssen. ••• EuGH I Urteil vom 20.10.2022 I Az.: C-111/21 Text : RED I EuGH I OGH Foto wikipedia Recht • Steuer • Versicherung • Schadenersatz KÖRPERLICHE UND PSYCHISCHE VERLETZUNG Psychischen Erkrankungen nach einem Unfall im Zusammenhang mit einer Flugreise begründen sehr wohl den Anspruch auf Schadenersatz durch das Luftfahrtunternehmen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 20. Oktober. Konkret ging es um einen Fall, der sich im März 2019 in London auf einem von der damaligen Billigfluglinie Laudamotion durchgeführten Flug von London nach Wien zugetragen hatte, wobei eine Frau zu Schaden gekommen war.

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